In der vergangenen Woche sprach Daniel Spielmann in einem Lehrlabor mit einem Kollegen aus der Romanistik über das Thema „Sprache ansprechen? Grammatik in der Lehre“. In seinem Teil bezog er sich v.a. auf eine Quelle von Nowacek auf der WAC-Seite der University of Wisconsin. Er hält den Input aus dem Lehrlabor in diesem Eintrag fest. Der Text betrachtet Fehler in studentischen Texten zunächst im Kontext, geht dann auf mögliche Fehlerursachen ein und gibt schließlich einige Anregungen, dem Phänomen in der Lehre konstruktiv zu begegnen.
Quelle: Flickr, meghan dougherty, CC-BY-SA, https://flic.kr/p/biBDM
Schritt 1: Lassen Sie ruhig mal Dampf ab – vor sich selbst oder auch vor Kollegen.
Vermutlich ist Ihnen dieser Schritt ohnehin vertraut. „Die bekommen kaum einen Satz gerade hin!“, „Unglaublich, wie man auf einer einzigen Seite so viele Fehler unter bekommen kann!“, „Kruder Geist, kruder Text.“ usw. Was auch immer Ihnen hilft. Geht’s jetzt besser? Holen Sie mal tief Luft und schütteln Sie sich wie ein nasser Hund.
Schritt 2: Betrachten Sie das Phänomen „Fehler“ aus der historischen Perspektive.
Hier beziehe ich mich zwar nun gleich auf das Schreiben englischsprachiger akademischer Texte (EAP), aber – bear with me – da in der Auseinandersetzung mit Sprache im Deutschen ähnliche Ansätzen ausprobiert wurden, wie im englischen Sprachraum, darf angenommen werden, dass sich die Beobachtungen auf das Deutsche übertragen lassen.
Als Lehrender sind sie zweifelsohne bereits Texten begegenet, die schlicht nicht genügend sprachliches Können erkennen lassen und die damit akademischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Diese Fälle sind aber die Ausnahme. Weitaus häufiger trifft man auf studentische Texte, in denen grammatische Fehler und stilistische Auffälligkeiten es Uns als Lesenden schwerer machen, die Aussageabsichte zu verstehen. Unerquicklich, gell? Lehrende verbinden mit dieser Beobachtung schon seit Jahrhunderten die Ansicht, studentische Texte – und insbesondere die Grammatikkenntnisse der Studierenden – seien über die Jahre zunehmend schlechter geworden. Dieses Lamentieren ist nicht neu: Harvard hat bereits 1899 einen Bericht veröfentlicht, der die Ahnungslosigkeit der Studierenden bemängelt. In einem der wichtigsten Bücher in einer jeden Schreibzentrumsbibliothek – John Beans „Engaging Ideas“ – findet sich der Verweis auf eine Studie von Connors & Lunsford, die die Fehlerhäufigkeit in studentischen Texten seit 1917 untersucht. Die Ergebnisse zeigt folgende Tabelle:
Wenn ich mich bei der Kenntnisnahme dieser Zahlen an mein Studium der Sprachlehr- /-lernforschung erinnere, finde ich das doch recht kurios, schließlich hat der Sprachunterricht im untersuchten Zeitraum einige doch sehr verschiedene Ansätze und Lehrmethoden durchlaufen. Dabei wurde praktisch jeder Ansatz mit der Überzeugung vermarktet, er würde Schwächen früherer Methoden ausräumen und könne Sprache daher effektiver vermitteln. Viëtor meinte schon in den 1880ern, „der Sprachunterricht muss umkehren„, die Grammatik-Übersetzungsmethode verfolgte eine kognitiv sehr bewusste Herangehensweise an Sprache als System, bei der audiolingualen Methode wurden dann Hören und Sprechen zentraler, später hob die kommunikative Wende dann mehr auf das Reden ab und alles sollte immer besser geeignet zum Sprachenlernen sein als das Vorherige. Oben zitierte Studie von Connors & Lunsford aber zeigt: Unter dem Strich blieb die Fehlerhäufigkeit über die Jahre ausgesprochen stabil. Ein goldenes Zeitalter des Grammatikunterrichts gab es nicht. Macht man die Effektivität der Methoden an den schriftlichen Produkten den Lernenden fest, zeigen sich kaum Unterschiede. These daher: Studierende sind heute nicht weniger bewandert in der Grammatik, als sie es vor zwanzig Jahren waren.
Schritt 3: Fehlerursachen verstehen
Ich komme wieder auf den bereits erwähnten John Bean zurück, denn er bietet einige mögliche Erklärungen für studentische Schreibfehler an:
- Vielleicht machen Studierende gar nicht so viele sprachliche Fehler, wie man manchmal annehmen möchte. Falsche Sätze hinterlassen einen nachhaltigeren Eindruck bei Lesenden als richtige Sätze. Und einige der Fehler, die man als „grammatische“ bezeichnet, sind eher stilistische Auffälligkeiten.
- Einige Fehler entstehen, weil Studierenden akademische Register noch nicht hinreichend klar sind; diese Register sind stets an bestimmte rhetorische Situationen gebunden und müssen bewusst zur Kenntnis genommen werden. Beispiel: eine E-Mail an eine Kommilitonin ist etwas anderes als eine E-Mail an eine Professorin. (Yo Prof – alles klar?)
- Eine Erklärung, die man aus Sicht der Sprachlehrforschung nicht deutlich genug machen kann, ist diese: Fehler können Anzeichen von Lernprozessen sein. Fehler werden gemacht, wenn Sprachnutzer etwas Neues ausprobieren. Insbesondere, wo Studierende mit kognitiv anspruchsvollen Inhalten befasst sind, steigt die Wahrscheinlichkeit sprachlicher Fehler. Eigentlich darf man sich über solche Fehler als Lehrperson dann freuen, statt zu lamentieren. Wichtig ist bei solchen Fehlern, wie darauf reagiert wird – sowohl von Seiten der Studierenden, als auch der Lehrenden: Rückmeldungen sollten lerndienlich formuliert sein, damit Lernende Gelegenheit bekommen, dieselben Fehler nicht immer wieder zu machen. Spätestens hier wird dann deutlich, dass es nicht reicht, sich als Lehrperson nur über Studierende zu beschweren (vgl. Schritt 1).
- Einige Studierende stehen beim Schreiben vor besonderen sprachlichen Herausforderungen: DaF, DaZ, Legasthenie, Lernschwierigkeiten usf.
- Studierende verwenden oft viel zu wenig Zeit auf die Textüberarbeitung – manche reichen sogar Erstversionen als Endversionen ein. Das kann mit falschen Annahmen über das Schreiben zusammenhängen (etwa: Schreiben kann man, oder halt nicht.), oder mit dem chronischen Zeitdruck in verschulten Bachelorstudiengängen o. ä. Und auch hier kommen m. E. wieder die Lehrenden ins Spiel, nämlich bei der Frage, wie man dieser Situation bei der Gestaltung der Lehre begegnen kann, was uns zum nächsten Schritt bringt.
Schritt 4: Nutzen Sie folgende Tipps, um studentischen Fehlern zu begegnen.
- Binden Sie Überarbeitung ausdrücklich in Ihre Schreibaufgaben ein, indem Sie mindestens eine Arbeitsversion verlangen.
- Sammeln Sie Arbeitsversionen ein und annotieren Sie diese, statt der finalen Version. Die Praxis zeigt: sobald eine Note vergeben ist, werden schriftliche Kommentare im Text kaum zur Kenntnis genommen – und warum sollten sie das in institutionalisierten Lehre-Lernumgebungen auch? „Annotieren“ im Übrigen heißt: korrigieren Sie Fehler nicht! Streichen Sie sie lediglich an, oder nutzen Sie Randnotizen dort, wo Fehler im Text auftauchen. Diese Methode nennt sich „minimal marking“. Sie stammt von Haswell (1983), der zeigt, dass Studierende viele ihrer Fehler selbst korrigieren können. Obwohl die Sache schon so alt ist, ist bisher leider erstaunlich wenig davon zu Lehrenden durchgedrungen.
- Wenn Sie Endversionen einsammeln und diese grammatisch immer noch zu viel zu wünschen übrig lassen, geben sie den Text an die Studierenden zurück und lassen Sie nochmals gezielt die Grammatik überarbeiten. Machen Sie transparent, wie sich unzureichende Grammatik auf die Note auswirkt und stellen Sie eine bessere Note in Aussicht, sofern die Mängel bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beseitigt werden.
- Betonen Sie, dass vor Einreichung der Endversion Überarbeitung der Arbeitsversionen notwendig ist. Ggf. kann es sinnvoll sein, vor Abgabe den Studierenden einige Minuten der Präsenzzeit einzuräumen, um sprachliche Fehler ein letztes Mal handschriftlich zu verbessern, oder am Computer, falls Sie die Texte per E-Mail entgegennehmen. Dadurch machen Sie deutlich, dass Sie die Bedeutung der Überarbeitung ernst nehmen und Ihre Studierenden dies auch tun sollten.
- Verteilen Sie die häufigsten Grammatikfehler auf einem Handout und zeigen Sie, wie man diese verbessert.
- Erwarten Sie von Studierenden, dass Sie wissen, wie man in einer Grammatik nachschlägt – oder verweisen Sie auf einen Ihrer Meinung nach hilfreichen Stilratgeber. (Lehrende führen in diesem Zusammenhang gern Wolf Schneider im Mund…) Verweisen Sie aber in jedem Fall auf das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) – und machen Sie sich selbst damit vertraut.
- Machen Sie Studierende auf ihr örtliches Schreibzentrum aufmerksam. (Die Voraussetzung ist hier natürlich, dass Ihre Institution genug Wert auf das Schreiben legt, eine entsprechende Einrichtung auch bereitzustellen.) Im Schreibzentrum erhalten Studierende Unterstützung beim Schreiben und das an jeder Stelle des Schreibprozesses, von der Themenfindung bis zur Überarbeitung. Sie als Lehrender sollten realistische Erwartungen an das haben, was in einer 45-minütigen individuellen Schreibberatungssitzung leistbar ist – und was nicht.
- Empfehlen Sie Studierenden folgende Überarbeitungsstrategien:
- Lesen Sie sich den Text laut vor, oder lassen Sie jemand anderen vorlesen. Gehen Sie dabei Wort für Wort mit dem Finger durch den Text und lesen Sie genau das, was Sie geschrieben haben. (In Sprechstunden können Sie sich dieser Methode ebenfalls bedienen, oder Sie bilden während der Präsenzzeit Paare im Seminar und lassen die Texte so (ggf. nur in Auszügen) bearbeiten.
- Lesen Sie den Text von hinten nach vorn, Satz für Satz.
Schritt 5: In Bezug auf Grammatik die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten
Markieren Sie Fehler nicht mit dem Rotstift und kommentieren Sie auch nicht in dieser Farbe. Bis Sie bei Ihnen im Seminar landen, haben Studierende schon einige blutende Texte in der Hand gehabt – setzen Sie dem ein Ende, denn offensichtlich hilft es ja auch nicht.
Gehen Sie nicht einfach auf „Fehlerjagd“: alle Fehler anzumarkern, ohne Hinweise zur Verbesserung zu geben, hat sich als ausgesprochen ineffektiver Umgang mit Fehlern erwiesen. Ersparen Sie sich und den Studierenden die Enttäuschung. Statt alles zu markieren, zeigen Sie Studierenden lieber individuelle Fehlermuster auf. Sollten Sie hierzu Hintergründe lesen wollen, ziehen Sie sich „The Phenomenology of Error“ von Joseph Williams (1981) rein. (woops – Ausdruksfehler? Whatcha gonna do? -.-)
Denken Sie daran, dass nicht alle Grammatikfehler gleich wichtig sind. Einige sind viel „ernsthafter“ als andere. Eine zerhauene Satzstruktur etwa erschwert das Textverständnis mitunter massiv und steht damit der Kommunikativen Vermittlung von Ideen im Wege. Andere Fehler provozieren Bei manchen Lesenden Rückschlüsse auf den Status der Autorin: sie behindern die Kommunikation zwar nicht, stellen die Autorin aber als wenig(er) gebildet dar. Und wieder andere Fehler sind absolut minimal, aber vielleicht dennoch Ihre „Lieblingsfehler“ – solche, die Studierenden gar nicht auffallen. Sie sollten Strategien entwickeln, sich über solche Fehler nicht allzu sehr zu echauffieren.
Vergessen Sie nicht, dass Grammatik nur einer unter vielen wichtigen Aspekten ist. Die Schreibdidaktik spricht von einem „lower-order concern“. „Higher-order concerns“ beziehen sich etwa auf den Textaufbau. Ein grammatisch fehlerfreier Text, der gar nicht oder nur schlecht strukturiert ist, ist ein viel größeres Problem.
Hinweis: Dieser Eintrag ist ein repost aus dem persönlichen Blog von Daniel Spielmann. Der Text ist dort zuerst erschienen.